Commentarii

Enea Silvio Piccolomini ist am 18. Oktober 1405 in Corsignano, einer kleinen toskanischen Ortschaft bei Siena, geboren. Seine Eltern waren beide von hohem sienesischen Adel, allerdings waren die Adeligen in Siena zum großen Teil entmachtet, enteignet und aus der Stadt vertrieben worden, so daß sich Eneas Vater auf seinen noch verbliebenen Landbesitz nach Corsignano (heute: Pienza) zurückziehen mußte. Dort verbrachte Enea seine Kindheit, von dort hat er auch seine Nähe zur Natur, seine Liebe zu den Tieren und sein Verständnis für die kleinen Leute. Er hatte 17 Geschwister, aber nur drei der Kinder überlebten: er selbst und seine beiden Schwestern Laodamia und Caterina.

Seinen ersten Unterricht erhielt er vom Dorfpfarrer, dann ging er nach Siena, wo er auf des Vaters Wunsch Jura studierte. Dieses Studium aber war so gar nicht nach seinem Geschmack, viel besser gefiel ihm die Beschäftigung mit den antiken römischen Autoren. Er las Tag und Nacht, schrieb sich seine Lieblingswerke bei Kerzenlicht ab und wurde so zum begeisterten Anhänger der römischen Lyriker und Redner. Seine Fähigkeiten sprachen sich herum, und so stellte ihn ein Kardinal (Domenico Capranica), der auf dem Weg zum Konzil nach Basel durch Siena kam, als Sekretär an (1431).

Das war nun der Beginn einer jahrzehntelangen, wechselreichen und abenteuerlichen Epoche in Eneas Leben, in der er vielen Herren dienen, viele Länder kennenlernen und viele politische und ideologische Erfahrungen sammeln sollte. Ein paar Mal hat er die Fronten gewechselt, nie verlegen um eine plausible Ausrede, und diese seine ziemlich opportunistische Art hat ihm denn auch bei seinen Biographen des 19. Jahrhunderts (vgl. Bibliographie) massive Kritik eingebracht.

Zunächst also war er Sekretär des Kardinals Capranica auf dem Konzil in Basel. Dieses 17. und zugleich längste Konzil der Geschichte (1431–1449) schloß die Schisma–Epoche der Papstgeschichte ab, wollte eine Kirchenreform erarbeiten und die Rechte des Konzils gegenüber dem Papst stärken. Enea wechselte, als Capranica ihn nicht mehr bezahlen konnte, seinen Brotherren, erwies sich auf dem Konzil als fähiger Schreiber und stieg langsam zu höheren Posten auf. In seiner kirchenpolitischen Einstellung war er auf seiten des Konzils, d. h. er befürwortete eine Beschneidung der päpstlichen Autorität. Mit dem Kardinal Niccolò Albergati reiste er zu den Friedensverhandlungen zwischen England und Frankreich nach Arras, daraufhin unternahm er eine Reise mit diplomatischem Auftrag zu König James I. von Schottland.

Das Konzil in Basel setzte 1438 Papst Eugen IV. ab und wählte als Gegenpapst Felix V., den Herzog Amédée VIII. von Savoyen, Enea wurde dessen Sekretär. 1442 begab er sich zum Reichstag von Frankfurt, wo Friedrich von Habsburg zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gekrönt wurde. Enea wurde vom Kaiser eingeladen, in seine Kanzlei einzutreten, und wurde am 27. Juli 1442 zum „Poeta lauretaus“ gekrönt. Er kündigte seinen Sekretärsposten beim Gegenpapst und trat in die Dienste des Kaisers am Hofe zu Wien und in der Wiener Neustadt ein. Dort hatte er unter all den unzivilisierten und mißgünstigen österreichischen Lakaien ein recht hartes Leben, vor allem, da er fast kein Deutsch verstand, sein Latein aber und sein Italienisch bei den Österreichern nicht gut ankam.

Er fand aber einen großzügigen Protektor, den Kanzler Kaspar Schlick, der ihm einen raschen Aufstieg am Wiener Hof ermöglichte. Ihm widmete er auch seine berühmte Liebesgeschichte „Euryalus und Lucretia“, die angeblich ein Liebesabenteuer Kaspar Schlicks mit einer verheirateten Frau in Siena zur Vorlage hatte. Auch ansonsten war Enea damals berühmt für seine Virtuosität im Verfassen lateinischer, oft recht lasziver Verse, er verfaßte auch eine Komödie in Anlehnung an Plautus und Menander, die ausgerechnet im Bordell spielt („Chrysis“). Auch hat er für einen Freund, der sich unsterblich verliebt hatte und seiner Geliebten einen feurigen Brief schreiben wollte, dazu aber wenig begabt war, gern diese Aufgabe übernommen.

Der Liebe widmete er sich aber nicht nur literarisch. Er hatte in Basel, in Straßburg, in Schottland und anderswo seine amourösen Abenteuer, die dann auch ihre Spuren in Form kleiner Piccolomini hinterließen (wobei der Familienname Piccolomini ja sowieso schon auf die Kleinwüchsigkeit dieser Familie hinwies, „piccoli uomini“: Enea selbst war nicht einmal 1,60 Meter groß).

Aber in Wien stieg er nun auf der Karriereleiter immer weiter nach oben, wurde vom Kaiser mit wichtigen und schwierigen diplomatischen Missionen betraut, z. B. dem Papst in Rom, Eugen IV., die Ergebenheitsadresse des Deutschen Reiches zu überbringen, obwohl die deutschen Fürsten immer noch eine neutrale Stellung zwischen dem Konzil und dem Papst einhalten wollten. Er erledigte diese Aufgabe so souverän, daß auch Papst Eugen ihn sofort als Sekretär anstellte.

Auf dem Reichstag zu Frankfurt (1446) setzte sich Enea als Vertreter des Kaisers erfolgreich für die Ablegung der Neutralität gegenüber der Kirche ein. Er beschloß nun auch, da, wie er selbst in einem seiner Briefe zugab, ihm als Liebhaber langsam die Kräfte schwanden, sein „sündiges“, weltliches Leben zu beenden und in den Dienst der Kirche zu treten. Er wurde in kürzesten Abständen Diakon, Priester und schließlich am 15. August 1447 im Wiener Stephansdom zum Bischof von Triest gekrönt. Und wenn man bedenkt, daß seine Papstwahl dann schon 1458 erfolgte, darf man dies schon eine steile Karriere nennen.

Zunächst aber hatte er, auch als Bischof, noch diplomatische Missionen für den Kaiser zu erledigen, z. B. 1450 in Mailand, wo der Condottiere Francesco Sforza die Macht an sich riß, ohne daß Enea, der die Stadt für den Kaiser einforderte, dies verhindern konnte. 1450 hielt sich Enea zum Jubeljahr in Rom auf und wurde dort von Alfonso V. nach Neapel eingeladen, um die Vorverhandlungen für die Hochzeit Eleonoras von Portugal, der Schwester Alfonsos, mit Kaiser Friedrich III. zu führen. Enea wurde im gleichen Jahr zum Bischof von Siena ernannt und organisierte als solcher die Reise Friedrichs III. nach Rom, der sich dort mit Eleonora verheiraten und vom Papst zum Kaiser krönen lassen wollte.

Enea kehrte aber wieder nach Österreich zurück, um für den Kaiser diplomatische Dienste zu leisten. Als am 29. Mai 1453 Konstantinopel von den Türken erobert wurde, dachte man immer intensiver an eine militärische Aktion, einen „Kreuzzug“ gegen die Türken, und Enea hielt auf den Reichstagen in Regensburg, Frankfurt und Wiener Neustadt flammende Reden, um für diese Aktion zu begeistern – leider mit sehr bescheidenem Erfolg.

Enea kehrte daraufhin nach Italien zurück, kümmerte sich um seine Diözese Siena und wurde schließlich am 17. Dezember 1456 von Papst Calixtus III. zum Kardinal ernannt. Nach dessen Tod wurde er in einem Konklave, das er brillant in seinen „Commentarii“ schildert und wo es zu massiven Bestechungsversuchen und Einschüchterungen, bis hin zum versuchten Wahlbetrug gekommen ist, zum Nachfolger gewählt. (Dieses Konklave diente übrigens als Vorlage für einen hochgelobten Film von Christoph Schrewe, 2006.)

Als Papst Pius II. setzte er sich drei Aufgaben:

1) die Sicherung der weltlichen Macht des Kirchenstaates
2) eine Reform der Kirche, vor allem der römischen Kurie
3) einen Kreuzzug gegen die Türken

Und während er in Punkt 1 recht gute Erfolge hatte, muß man ihm bei den beiden anderen leider sein Scheitern attestieren. Er rang fast alle die Kleinfürsten, die während des päpstlichen „Exils“ in Avignon die Gebiete des Kirchenstaates an sich gerissen hatten, mit Hilfe seiner Condottieri nieder und festigte so seine weltliche Macht. Aber eine Reform der Kirche, eine Abschaffung der schlimmen Mißstände bei der Kurie, die er auch des öfteren tadelt und bei der er als Helfer den deutschen Kardinal Nikolaus von Kues auf seiner Seite hatte, gelang ihm nicht. Zu verwurzelt war schon die weltliche Prunksucht seines Kardinalskollegiums; man denke nur an seinen Vizekanzler Rodrigo Borgia, den späteren Papst Alexander VI., den er des öfteren wegen seines aufwendigen und lockeren Lebenswandels anmahnen mußte. Auch sein dritter Programmpunkt, der Kreuzzug gegen die Türken, konnte nicht realisiert werden.

Obwohl er sich seit Beginn seiner Amtszeit heftigst um dieses Projekt kümmerte, einen Kongreß nach Mantua berief, um die Fürsten gegen die Türken zu einen, pausenlos alle christlichen Potentaten um Mithilfe beim Kampf gegen den Glaubensfeind bat, waren die innereuropäischen Konflikte doch zu groß, man konnte sich nicht auf eine Gesamtaktion einigen. Als dann doch einige Mächte sich bereit erklärten, unter der Führung des Papstes den Sultan anzugreifen, und Pius todkrank in Ancona auf die Ankunft seiner Alliierten wartete, erlebte er die Ankunft der venezianischen Galeeren, die er zwar aus der Ferne noch kommen sah, nicht mehr, und das Projekt wurde nach seinem Tod sofort abgeblasen.

Weitgestreut ist Eneas literarisches Erbe. Noch vor seinem Eintritt in den Dienst der Kirche glänzte er durch ausgefeilte Reden, Gedichte im Stil der Alten, elegante Briefe an fast alle Größen seiner Zeit und durch umfangreiche Schriften über geographische und historische Themen (z. B. „Europa“, „Asia“, „Geschichte Böhmens“, „Geschichte Friedrichs III.“ u. a.). Sein wohl persönlichstes Werk aber sind die „Commentarii“, Memoiren, die er als Papst teils selbst schrieb, teils diktierte, und in denen er sehr subjektiv seinen Lebenslauf, die politischen, kirchlichen und gesellschaftlichen Ereignisse seiner Zeit schildert, wobei er vor keiner Abschweifung zurückweicht und auch eifrigst seine Zensuren verteilt.

Als „Homo universalis“ der Renaissance interessiert ihn schlechthin alles, was ihm begegnet, seien es Menschen, Naturereignisse, Landschaften, aber auch Gerüchte, Wunderliches und Fabelhaftes. Er bringt all dies – ohne große wissenschaftliche Hinterfragung – in bunter Reihe, ordnet freilich seine „Commentarii“ grob chronologisch. Aber Pius selbst räumt ein (XI, 23), daß seine „Commentarii“ Wichtiges und Unwichtiges nebeneinander erzählen, und wünscht sich einen späteren Redaktor, der an seinem Werk feilen und es verbessern möge. Den hat es zwar dann gegeben, in Form des Erzbischofs Francesco Bandini Piccolomini, der Jahrzehnte nach Pius' Tod den Text für die Drucklegung der „Commentarii“ bearbeitete, aber nicht nach stilistischen, sondern nach moralischen Gesichtspunkten: er strich alles heraus, was die behandelten Personen irgendwie negativ erscheinen lassen könnte, was die Kirche kritisierte, kurz: alles, was eigentlich interessant für uns Heutige ist. Moderne Ausgaben enthalten natürlich den Gesamttext, markieren aber das damals Zensierte.

Hier liegt nun erstmals eine große Auswahl der „Commentarii“ in deutscher Übersetzung vor, wobei es mir oft sehr schwerfiel, selbst hochinteressante Passagen dem Rotstift zu opfern. Mein Hauptkriterium bei der Auswahl war das Interesse des deutschen Lesers – wenn Pius irgend etwas über Deutschland, Österreich, die Schweiz berichtet, dann wurde es aufgenommen.

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